Leben im Hostel
Liebe Eltern!
… wir kamen morgens in Harwich an. Es standen der Rabbiner und einige Juden am Bahnhof. Wir sind jetzt glücklich. Diese Leute hier sind sehr nett. Sie haben uns alles sehr schön eingerichtet … London ist eine ganz fabelhafte Stadt. Zweistöckige Omnibusse, zweistöckige Straßenbahnen, Autos, massenhaft Droschken und viele große Geschäftshäuser.
Fritz Penas (Fred Marchand) 19.01.1939 *
Liebe Eltern! Liebe Verwandten! Lieber Opa! … Jetzt mein Tagesplan: morgens halb 7 aufstehen, bis 7 Uhr turnen, waschen, beten bis 8 ein Viertel, dann frühstücken, bis halb 10 frei und dann Schule. Das heißt wir gehen zur Synagoge, dort sind ein paar Klassenräume. Wir lernen hebräisch bei Dr. Seligsohn und englisch bei W. Cohen, einem jungen Herrn. Also Schule bis halb 1, dann nach hause essen um 1 Uhr, bis halb 2 Uhr frei. Von 2 bis 4 Schule dann frei, das heißt wir beten und spielen, halb 7 essen, dann Schuhe putzen, spielen, ins Bett. Ihr seht, dass wir viel zu tun haben.
Fritz Penas (Fred Marchand) 25.01.1939 **
… nach einigen Wochen ging es dann in die Schule. Das Schulgebäude war nicht weit vom Hostel entfernt und man konnte es gut zu Fuß erreichen. Wir sind natürlich auf gut deutsche Weise in Zweierreihen dort hinmarschiert. Irgendwie spürten wir, dass wir nun gut zusammenhalten mussten, und so gab es schon bald nach unserem Einzug eine Prügelei zwischen Engländern und Deutschen. Die Schule war eine einfache englische Volksschule. Oft spielten wir in der Klasse Schach. Doch mit dem Lernen war es aus, der ‚Jawne-Traum‘ war damit ausgeträumt.
Ernest Kolman (Ernst Kohlmann) 1990 ***
Die Gemeinschaft in der Minster Road mit den Hostel-Eltern Rudolf und Gerda Seligsohn hatte keinen langen Bestand: Einige Tage vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde das Jawne-Hostel aufgelöst und die Jungen wurden im Rahmen der britischen Evakuierungsmaßnahmen für Kinder auf Gastfamilien außerhalb Londons verteilt. Damit trennten sich die Geschichten der Jungen aus der Minster Road 1.
< vorige Seite | nächste Seite >
* Brief von Fritz Penas (später: Fred Marchand) aus London an seine Eltern in Köln, 19.1.1939. Quelle: Privatbesitz Familie Marchand.
** Brief von Fritz Penas aus London an seine Eltern in Köln, 25.1.1939. Quelle: Privatbesitz Familie Marchand.
*** Ernest Kolman über die ersten Wochen in London, in: Corbach, Jawne, S. 187.
Fritz Penas, Julius Weil, Ernst Kohlmann und Hans Walter (v.l.n.r.) vor dem Hostel Minster Road 1. Foto: Privatbesitz Ernest Kolman.
Foto oben: Die Jungen aus der Minster Road 1 bei einem Ausflug 1939 mit ihrem Betreuer Dr. Seligsohn. Fritz Penas vierter von rechts. Ganz links steht Ernst Kohlmann, etwas rechts von ihm mit Brille Paul Katz. Foto: Privatbesitz Familie Marchand.