Geschwister
Etwa ein Drittel der Kinder, so schätzt die Association of Jewish Refugees, konnte gemeinsam mit einem Bruder oder einer Schwester ausreisen. Nach der Ankunft wurden die Geschwister aber oft getrennt und in verschiedenen Familien oder Hostels untergebracht. Andere Kinder hofften manchmal jahrelang, dass die Geschwister nachkommen würden.
Für Walter Michel aus Köln, der schon im Sommer 1938 nach England gekommen war, erfüllte sich diese Hoffnung. Seine jüngere Schwester Lore kam im Juni 1939 in London an. Lore erinnert sich noch gut daran, wie Walter sie am Bahnhof Liverpool Street Station abholte und noch auf dem Bahnsteig ihre Englischkenntnisse überprüfte. Später sorgte er dafür, dass seine kleine Schwester weiter die Schule besuchen konnte. Heute, 2017, lebt Lore in London und Walter in Boston. Die Geschwister telefonieren noch immer regelmäßig.
Ich war in einer Familie in einem ganz kleinen Haus im East End of London, und mein Bruder kam manchmal aus Cambridge zu Besuch. Dort ist er zum Flüchtlingskomitee gegangen und hat zu einer Dame gesagt: ‚Entschuldigung, aber ich habe eine Schwester, die ist 15 und wird nicht zur Schule geschickt.‘ Und die Dame hat gesagt:
‚Das ist ja furchtbar. Sagen Sie ihr, sie kann zu uns kommen, und wenn sie uns gefällt und wir glauben, sie ist erziehbar, dann nehmen wir sie und behalten sie.‘ Das hat er für mich getan, das war sehr couragiert von ihm. Ich bin für eine Woche hingegangen, Weihnachten 39, ich habe mich gut benommen, und sie haben gesagt: ‚Du kannst bleiben.‘ Ja, das war mein Bruder, er ist ein guter Bruder.
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Lore Robinson 2010 *
* Interview Projektgruppe Kindertransporte mit Lore Robinson (früher: Lore Michel) in London 2010.