Wir waren eine Gruppe von 54 Kindern

 

Auch das Hostel der Jungen in der Minster Road nahm neue Bewohner auf, die in Zbąszyń einem der rettenden Kindertransporte zugeteilt worden waren. Welche Erfahrungen sie hinter sich hatten, schildert exemplarisch der heute in Israel lebende Mordechai Vered (damals Theo Verderber). Er hatte in Köln die jüdische Volksschule ‚Moriah‘ besucht, die im gleichen Gebäude wie die Jawne in der St. Apern-Straße untergebracht war. Theo verließ Polen mit demselben Schiff wie Rosa Piperberg und Marga Gotthelf und kam im Februar 1939 in London an.

 

gulliemots  Zwei Schiffe haben mein Leben gerettet: die SS Warszawa und die Pan York. Das erste Schiff brachte mich nach England, während das zweite mich in mein Heimatland Israel brachte.

Im Oktober 1938 wurden polnische Juden aus Deutschland vertrieben und mit dem Zug zur polnischen Grenzstadt Zbąszyń gebracht. Meine Mutter nahm ihre zwei jüngsten Kinder, mich (zehn Jahre alt) und meinen kleinen Bruder Adie (acht Jahre alt), mit. Wir fuhren Freitagnacht und den ganzen Samstag durch, bis der Zug in Zbąszyń hielt. Hier wurden wir ausgesetzt. Wir kuschelten uns eng aneinander in der Bahnhofshalle. Nach ein paar Tagen änderte sich unsere Situation. Die örtliche Sporthalle wurde in ein Kinderheim verwandelt, wo es Strohsäcke und Decken gab. Mein Bruder und ich schliefen wegen der bitteren Kälte in einem Bett. Als meine Mutter sich entschied, mich mit einem Kindertransport nach England zu schicken, hoffte sie noch, dass Adie und sie bald folgen würden.

Wir waren eine Gruppe von 54 Kindern, die zuerst nach Warschau fuhren. Eine Woche später bestiegen wir in Gdynia die SS Warszawa. Unsere kleinen Kabinen, alle mit sechs Doppelstockbetten, befanden sich unter dem Topdeck rund um einen Laderaum. Für einen zehnjährigen Jungen gab es auf dem Schiff viel zu erforschen. Wir fuhren durch den Nord-Ostsee-Kanal, wo es sehr beängstigend war, die deutschen Kriegsschiffe mit ihren Hakenkreuzflaggen zu sehen. Am vierten Tag unserer Schiffsreise erreichten wir den Hafen von London und die Tower Bridge. Ich vermisste meine Mutter, meine Schwester und meine Brüder.

Mordechai Vered (Theo Verderber) 2010 *

 

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* Mordechai Vered (früher: Theo Verderber) und Ruth Vered, From Poland to London, AJR Newsletter April 2010. Übersetzung aus dem Englischen: Cordula Lissner.

 

Mordechai und Ruth Vered 2012. Foto: Lior Herchkovitz