Der »Kindertransport« nach Großbritannien

Die meisten Staaten in Europa und Übersee zeigten in den 1930er Jahren kaum Bereitschaft, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Das änderte sich kurzfristig nach dem Novemberpogrom 1938. Eine Welle der Hilfsbereitschaft erfasste vor allem Großbritannien. Das britische Parlament entschied, jüdische Kinder aus Deutschland (einschließlich Österreichs) mit Kollektivvisa einreisen zu lassen. Über die BBC wurde dazu aufgefordert, ein Kind aufzunehmen. Der Unterhalt in Großbritannien musste zuvor durch Bürgschaften gesichert sein, was das Engagement von tausenden von Familien, Einzelpersonen und kleinen Hilfskomitees erforderte. Das ‚Movement for the Care of Children from Germany‘, später ‚Refugee Children’s Movement‘, übernahm die zentralen Organisationsaufgaben.

10.000 KINDER
Mit dem so genannten ‚Kindertransport‘ wurden etwa 10.000 Kinder bis zum Kriegsausbruch nach Großbritannien gerettet. Neben der Jugend-Aliyah nach Palästina wurde der Kindertransport das bedeutendste Werk zur Rettung von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen vor der nationalsozialistischen Verfolgung. Auch Belgien, die Niederlande, Schweden, Frankreich und die USA nahmen in kleinerem Maßstab Kinder und Jugendliche auf.

DIE FAHRT
Am 2. Dezember 1938 kam der erste Kindertransport in England an. Der letzte erreichte die rettende Insel am 2. September 1939. Unter dramatischen Bedingungen folgte noch ein allerletztes Schiff mit Kindern aus den Niederlanden, das schon mitten im Krieg im Mai 1940 Liverpool erreichte. Die meisten Kinder fuhren mit dem Zug nach Hoek van Holland und von dort mit der Fähre nach Harwich an der englischen Ostküste. Die letzte Etappe führte erneut mit dem Zug zum Londoner Bahnhof Liverpool Street Station. Nach ihrer Ankunft wurden viele Kinder und Jugendliche zunächst in zentralen Auffanglagern oder in einem Hostel untergebracht, andere kamen zu Pflegeeltern oder Verwandten.

ZWEITER WELTKRIEG
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden Minderjährige aus britischen Städten in ländliche Gebiete evakuiert, so auch die Kinder aus den Kindertransporten. Im Sommer 1940 drohte für über 16-jährige deutsche Flüchtlinge die Internierung als ‚enemy aliens‘ (feindliche Ausländer). Kleinere Gruppen wurden zeitweise in Kanada oder Australien interniert. Viele junge Männer meldeten sich aus den Internierungslagern heraus zur Armee, um gegen Nazi-Deutschland zu kämpfen.
< vorige Seite | nächste Seite >

* Bericht von Isaak Giterman zit. nach: Sybil Milton, The Expulsion of Polish Jews from Germany. October 1938 to July 1939. A Documentation, in: Leo Baeck Institute Year Book 1984, S. 169-199, hier S. 194f., Übersetzung Cordula Lissner.

Bildnachweis Obere Bildleiste: Grafik Axel Joerss

The last goodbye, 1939. Aquarell des Jawne-Schülers Ernst Meyer. Privatbesitz Ernie Meyer.